Begegnung steht über der diesjährigen ART Altstadt reloaded, die im Oktober eröffnet, die Altstadt eine Woche lang mit Kunst an den unterschiedlichsten Orten erfüllt. Das Thema hat eine echte Tiefendimension. Zunächst einmal geht um Begegnungen mit Kunst an den unterschiedlichsten Orten der Altstadt. Doch schauen wir etwas tiefer.
Kunst hat immer viele Aspekte und Dimensionen, ästhetische natürlich, aber auch wirtschaftliche, therapeutische, politische und eben
auch spirituelle, nicht unbedingt im Sinne einer bestimmten religiösen Tradition und doch - ohne ein Momentum des Spirituellen würde der Kunst, egal wie sie sich versteht etwas
fehlen.
Natürlich, viele Menschen haben heutzutage Probleme, die kirchlichen Lehren und die biblischen Texte nachzuvollziehen. Doch wenn man aber genauer hinschaut, sind wir mit dem Thema
Begegnungen mittendrin in dem, was eigentlich die biblische Botschaft ist. Die lässt sich in einem Satz herunterbrechen:
Da, wo wirkliche Begegnungen stattfinden, begegnen wir der göttlichen Dimension. Bei Gott geht es nicht um Herrschaft, das haben die
Kirchen leider oft vergessen, sondern um wirkliche Begegnung. Aber was ist das?
Besteht der Alltag nicht an sich aus unzähligen Begegnungen, real-körperlich und virtuell in den sozialen Netzwerken? Manche sind erfreulich, viele leider überhaupt nicht. Und genau das macht den
Alltag, auch den digitalen aus. Oftmals laufen wir aber auch aneinander vorbei oder begegnen uns eher oberflächlich. Was ich mich also frage, ist: Was macht eigentlich eine wirkliche
Begegnung aus?
Um es kurz zu sagen: In einer wirklichen Begegnung leuchtet etwas auf. Lassen Sie mich versuchen, dieses Aufleuchten näher zu
umschreiben. Es hat etwas mit Überraschung, mit Weite und mit Veränderung zu tun. Kennen Sie das? Sie laufen durch eine Ausstellung, sehen verschiedene Werke einer Künstlerin oder mehrerer
Künstler und dann auf einmal wird Ihr Blick eingefangen von einem bestimmten Bild, einem Werk. Sie betrachten es, wenden sich ab, kehren wieder zurück. Sie entdecken Überraschendes, eine Tiefe
und Weite, die Sie nicht loslässt, das Bild löst etwas in Ihnen aus, was Sie eine Zeitlang in Ihr Atelier oder in den Alltag hinein begleitet.
Dasselbe und intensiver widerfährt uns, wenn wir einem Menschen wirklich begegnen. Es mag sich um eine sogenannte Liebe auf den ersten Blick handeln (wobei ich da durchaus auch an
Freundschaften denke) oder um eine Begegnung mit jemandem, den Sie schon lange kennen und dann auf einmal, in einem Gespräch etwa öffnet sich eine Tür und Sie lernen diesen einen Menschen auf
eine ganz neue Weise kennen. Vielleicht fanden Sie ihn vorher etwas oberflächlich, merkwürdig und seltsam. In einer wirklichen Begegnung fällt das auf überraschende Weise auf einmal weg.
Allein schon eine solche Erfahrung verändert manchmal die Rolle, die Vorurteile bei und in uns selbst spielen.
Man kann aber auch Landschaften begegnen, die in ihrer Weite den Blick öffnen. Auch das werden Sie kennen.
Nun gut, könnte man sagen, das kann ich schon nachvollziehen, doch braucht es dafür Gott? Nein, braucht man nicht, wenn Gott etwas ist, was zusätzlich zu unserem Leben dazu tritt. Gott als
frommen Zusatz braucht wirklich kein Mensch. Nach vielen Jahren des Nachdenkens und auch des Predigens komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass Gott keine Wirklichkeit ist, die irgendwo in
einem Jenseits ist, nein, sie ist die Wirklichkeit, in der sich unser Leben hier abspielt. Ein zentraler Satz in der Bibel lautet: Gott ist Liebe. Man kann es auch so sagen. Wo
wirkliche Begegnung stattfindet, da ist Gott.
Die Bibel ist reich an Geschichten solcher Begegnungen voller Überraschungen, die das Leben weiten und verändern. Mit der Schöpfung ist eine Bühne geschaffen für Begegnungen, die zum Teil verwundern. Ein Blick in die Bibel lohnt sich. Gerade in Zeiten, in denen gesellschaftliche Spaltungen immer mehr unser Leben bestimmen. Meine Befürchtung, die sicher viele teilen ist: Es wird immer schwerer, sich wirklich zu begegnen. Es ist , als ob uns eine Wolke der Wut und des Eigennutzes umgibt. In unserer Stadt leben viele Menschen, die erlebt haben, wie das ist, wenn der Hass wütet – und tötet. Emotionen wie Wut und Hass spalten. Letztlich, glaube ich, geht es immer darum, die Interessen des eigenen kleinen Ichs zu befriedigen. Wir kreisen um uns selbst, stellen uns in den Mittelpunkt. Wir wollen gesehen werden und sehnen uns nach Anerkennung.
Auf einer Reise, die uns durch Frankreich, Spanien und Portugal führte, bin ich einem Heiligen unserer Tage begegnet, auf einer Fahne abgebildet aufgestellt in einer Kirche in Maussanes in der Provence. Ich bin evangelisch und Heiligenverehrung liegt mir fern, aber dieser Mann, der 2022 heiliggesprochen wurde, hat es mir angetan. Er heißt Charles de Foucauld und lebte von 1858 bis 1916. Er war eine Lebemann, der auf der Suche nach innerer Erfüllung, Einsiedler in der algerischen Wüste wurde. Dort, schreibt er, begegnete er einer unfassbaren, göttlichen Weite. Er lebte in einer denkbar einfachen Klause bei den Tuaregs, die am Rande der Gesellschaft ein entbehrungsreiches Leben führten. Was man bei ihm entdecken kann: Er begegnete sich selbst, indem er sich ganz seiner Mission hingab, fernab in der Weite der Wüste, ganz nah bei den dort lebenden Menschen, und das ohne zu missionieren.
Oder da ist Yael Noy. Yael leitet eine Wohltätigkeitsorganisation namens Road to Recovery, eine Gruppe israelischer Freiwilliger, die kranke Palästinenser - zumeist Kinder - von Kontrollpunkten im besetzten Westjordanland und im Gazastreifen zu Krankenhausaufenthalten in Israel fahren. Gerade nach den schrecklich-traumatischen Ereignissen am 7.Oktober 2023 sagt sie, geht es Yael darum, die Arbeit fortzusetzen, , für Verständigung einzutreten, indem denen geholfen wird, die Hilfe brauchen. In einer Atmosphäre des Hasses und der Wut findet sie dafür nicht nur Verständnis.
Begegnungen verändern, weiten den Horizont und machen das Leben überraschend. Wir können sie nicht erzwingen, aber wir sollten uns ihnen auch nicht in den Weg stellen.
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